Ein:e Erbe:in eines international bekannten Industrieunternehmens plante mit einem Outing den psychischen Druck der eigenen Identitätsverleugnung loszuwerden.
Berechtigte Sorgen vor einem vollständigen Bruch mit der erzkonservativen Familie -inkl. Enterbung- und dem Ansehensverlust im ebenso konservativem Arbeits- und Firmenumfeld standen dem zunächst entgegen.
Mit professioneller Unterstützung von Aussen sollten einerseits Risiken identifiziert, evaluiert und letztlich der Bruch mit der Familie und das Scheitern des geplanten Lebensentwurfs vermieden werden.
Zudem sollte das Outing inhaltlich, dramaturgisch und kommunikativ geplant und begleitend vollzogen werden.
Der Unternehmensbetrieb, der von einer Unternehmer-Dynastie über fünf Generationen geführt wurde, war nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein emotionaler Kern des Familienlebens. Das Unternehmen, mit Tochtergesellschaften und weltweiten Geschäftspartnern, hatte die Wirren der beiden Weltkriege überstanden und galt als eine feste Grösse in der Branche.
Der Generationswechsel stand bevor. Die Eltern, die das Unternehmen bislang geführt hatten, waren erschöpft und nicht mehr in der Lage, den dynamischen Herausforderungen der modernen Wirtschaftswelt standzuhalten. Es war klar, dass der einzige Nachwuchs, das Kind der Eltern, die Verantwortung übernehmen sollte, um die Familientradition fortzusetzen und das Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Dieser Schritt war sowohl ein Herzenswunsch des Kindes und das Ergebnis jahrelanger Vorbereitung, mit Ausbildung und Studium, welche minutiös auf diese Aufgabe ausgerichtet waren.
Doch inmitten der familiären und beruflichen Erwartungen lastete eine dunkler Schatten auf dem Kind. Seit der Kindheit hatte es sich zu Menschen des gleichen Geschlechts hingezogen gefühlt, in einem Umfeld, das von erzkonservativen christlichen Werten geprägt war. Homosexualität war in der Familie ein absolutes Tabu, und sowohl in der Familie als auch im Unternehmen und bei den Geschäftspartnern dominierten homophobe Tendenzen. Die zunehmenden abwertenden Bemerkungen und Witze über Homosexualität sorgten für unerträgliches Leid.
Das Outing wurde zur letzten Option, um den psychischen Druck zu lindern und das eigene Leben zu leben. Doch der Weg dahin war alles andere als einfach. Ein vollständig offenes Outing bedeutete potenziell einen Bruch mit der Familie und der Enterbung, ein Verlust des sozialen Status im konservativen Unternehmensumfeld und das Scheitern eines Lebenstraums.
Unterstützung von aussen war notwendig, um sowohl die Risiken zu analysieren als auch eine Strategie zu entwickeln, die das Risiko eines Bruchs minimieren würde.
Zunächst wurde eine eingehende Risikoanalyse durchgeführt, um die potenziellen Folgen eines Outings in einem so traditionsreichen und konservativen Umfeld zu verstehen. Professionelle Beratung half, die psychischen Belastungen zu kanalisieren und den Fokus auf den bevorstehenden Prozess zu richten. Die Eltern sollten auf einen “Mind Shift” vorbereitet werden – eine Veränderung der Wahrnehmung, bei der sie nicht nur als Eltern, sondern auch als Partner und Meinungsführer betrachtet wurden. Dies ermöglichte es, eine Kommunikation zu entwickeln, die sowohl die Sorgen der Eltern als auch die Bedürfnisse des Erben:in berücksichtigt.
Ein Schlüssel zur Lösung war der Einsatz moderner Technologien, darunter künstliche Intelligenz, um das zugrunde liegende Wertesystem der Eltern zu analysieren. Durch die Analyse von Texten, Bildern und Videos konnten subtile Hinweise auf ihre Einstellungen und Haltungen gewonnen werden, die dem Krisen-Interventions-Team halfen, die richtige Strategie zu finden.
Um den Druck auf die Eltern zu verringern und eine emotionale Distanz zu schaffen, wurde ein früherer Freund der Familie in die Strategie integriert. Dieser Freund war während der Kindheit des Erben:in fast wie ein Geschwisterkind und hatte enge Bindungen zu den Eltern. Er lebte offen homosexuell, war verheiratet und hatte Kinder, was für die Eltern zunächst überraschend, aber letztlich akzeptabel war. Die Entscheidung, diesen Freund in den Prozess zu integrieren, erwies sich als ein entscheidender strategischer Schritt.
Der Freund diente als “Prototyp” für ein erfolgreiches Leben als Homosexueller, wodurch die Eltern das Leben des eigenen Kindes durch die Brille eines bereits erfolgreichen Lebensmodells betrachten konnten. Zudem war der Familienfreund, der sich wieder in die Familie einfügte, ein wichtiger emotionaler Katalysator.
Die Gespräche über seine eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung und Gewalt, denen er und seine Familie ausgesetzt waren, aktivierten tief verwurzelte Werte wie Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Rechtschaffenheit bei den Eltern. Diese Werte begannen, die Sicht der Eltern auf ein gleichgeschlechtliches Lebensmodell zu verändern und eine erste Akzeptanz zu schaffen.
Der eigentliche Wendepunkt kam während eines gemeinsamen Abendessens, als der/die Erbe:in sich gegenüber den Eltern outete. Die Eltern waren überrascht, aber nicht schockiert.
Durch die monatelange subtile und psychologisch fundierte Vorbereitung, die sowohl emotionale als auch kognitive Elemente anschaulich miteinander verknüpfte, war die Mutter des Erben:in in der Lage, in diesem Moment zu sagen, dass sie es eigentlich immer schon gewusst habe.
Das Outing wurde von der Familie weitgehend akzeptiert, und sogar die Eltern, die ursprünglich homophobe Tendenzen gezeigt hatten, wurden zu engagierten Unterstützern des neuen Lebensmodells.
Sie nutzten ihren Einfluss und ihre Hierarchie innerhalb des Unternehmens, um das Outing ihres Kindes als neue Unternehmensleitung zu unterstützen und gegenüber Mitarbeitenden, Zulieferern und Stammkunden durchzusetzen.
Für das Unternehmen war der Generationenwechsel ein Erfolg, der die Firma in eine neue Ära führte.
Nicht alle Menschen innerhalb des Unternehmens und im familiären Umfeld reagierten positiv. Einige Personen zogen sich zurück, andere, die wirtschaftlich abhängig waren, arrangierten sich mit der neuen Situation. Doch insgesamt brachte der Prozess die Familie näher zusammen und stärkten ihren Zusammenhalt.
Die Medien reagierten eher desinteressiert auf das Outing – die Yellow-Press sah keinen Skandal, und sie fand keine innerfamiliären Verwerfungen, die berichtenswert gewesen wären.
Die Fachpresse jedoch zeigte grosses Interesse und betrachtete den Generationenwechsel als Mustergültigen Schritt in eine neue Ära.
Dieser Prozess zeigte, wie wichtig es ist, solche Entscheidungen über längere Zeiträume hinweg vorzubereiten und zu begleiten. Es wurde klar, dass die Wahl des richtigen Zeitpunktes, der richtigen Strategie und der richtigen Unterstützung entscheidend für den Erfolg war. Der Einsatz eines Kindesfreundes als emotionaler Katalysator erwies sich als ein unerwarteter, zufälliger, aber extrem wirksamer Schachzug. Auch wenn der Prozess emotional und psychisch anstrengend war, zeigte sich, dass solche Veränderungen für alle Beteiligten sehr wertvoll sein können – besonders, wenn sie auf einer authentischen Grundlage aufbauen und eine, auf bereits vorhandenen Werten basierende, Bewusstwerdung fördern.
“Wir durften in einem begleiteten Prozess unsere Perspektiven wechseln und an der Situation über uns hinaus wachsen.”
ELTERN DES/DER ERBE:IN
“Wir durften in einem begleiteten Prozess unsere Perspektiven wechseln und an der Situation über uns hinaus wachsen.”
ELTERN DES/DER ERBE:IN
Wir nutzen nur absolut notwendige Cookies.
Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz